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Wie sich der Finanzsektor die Welt unterwirft – Ein Beitrag von Prof. Wolfgang Berger

Wolfgang_berger1914 am Vorabend des 1. Weltkriegs entsprach die Verteilung der Geldvermögen ungefähr der von 2014: 10 % der Bevölkerung war im Besitz von 90 % der Geldvermögen. Insgesamt waren sie sieben mal so hoch, wie die Wirtschaftsleistung eines Jahres. 2010 lag dieser Faktor bei 5,5, Tendenz weiter ansteigend.[1] Roger Martin du Gard, Autor des Werkes „Die Thibaults“ lässt seinen Helden zum 1. Weltkrieg sagen: „Nie zuvor ist die Menschheit so tief erniedrigt, ihre Intelligenz so rücksichtslos unterdrückt worden“.

Der Schweizer Professor Marc Chesney zeigt auf, wie das Demokratieversagen nach dem 1. Weltkrieg zu einer Herrschaft der Finanzaristokratie über die Wirtschaftspolitik führte.[2] Die Akteure dieser Finanzwelt befinden sich in einer Art gemeinschaftlichen Rausches, dessen gesellschaftliche Folgen nur in Ausnahmefällen von ihnen selbst wahrgenommen werden. Sam Polk, Trader eines spekulativen Fonds bringt es auf den Punkt: „Ich wollte mehr Geld und zwar aus dem gleichen Grund, wie ein Alkoholiker noch ein Glas braucht. Ich war süchtig.“ Und weiter: „Nicht nur, dass ich nicht dabei half, Lösungen für die Probleme der Welt zu finden, ich profitierte auch noch davon.“[3]

Wo genau die Schnittstellen zwischen Geldmacht und politischer Macht ineinanderfließen mag keiner genau beurteilen können. Indizien dafür, dass den „Süchtigen“ der Zugang zu ihrer „Droge“ von mächtigen Beratern aus der Finanzwelt geebnet wurde und immer noch wird, gibt es zuhauf. Ein freier, von politischem Einfluss weitgehend verschonter Finanzmarkt wurde zum wünschenswerten Ziel nahezu aller Eliten der westlichen Welt.

Rolf Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, sprach es in einem lesenswerten Aufsatz im Jahr 2000 so aus: „Wenn man so will, haben die Finanzmärkte quasi als ‚fünfte Gewalt‘ neben den Medien eine wichtige Wächterrolle übernommen. Wenn die Politik im 21. Jahrhundert in diesem Sinn im Schlepptau der Finanzmärkte stünde, wäre dies vielleicht so schlecht nicht.“[4]

250 globale Finanzmanager treffen sich in London

Egyptian_Hall_Mansion_House_editedUnter dem Thema „Inclusive Capitalism – Anstoß zum Umbruch“ hat Lady Evelyn de Rothschild, Gattin von Robert de Rothschild im Frühsommer nach London eingeladen, zu einem Treffen ins Mansion House, die Residenz des Lord Mayor der City of London. (Die „Ägyptische Halle“ des Mansion House, gemeinfrei – Quelle: Wikimedia)

Die dort ansässigen Finanzfirmen haben Alderman Fiona Woolf als 686. Lord Mayor zur Leiterin der City of London Corporation gewählt – die zweite Frau in diesem Amt seit 1189. Zuvor war sie Partnerin bei CMS Cameron McKenna, einer Kanzlei mit 3.000 Anwälten, die Finanzfirmen bei Rechtsstreitigkeiten mit Staaten vertritt.

Der Prince of Wales hielt den Eröffnungsvortrag. Lady de Rothschild markierte den Roten Faden der Konferenz: Die tiefe Sorge, dass die eigene PR nicht effizient genug sei. Populistische Regierungen könnten den Finanzsektor übernehmen und gar sei der Ausbruch einer Revolution nicht ausgeschlossen: „Es ist wirklich gefährlich, wenn Business als eines der gesellschaftlichen Probleme gesehen wird.“ 61 Prozent der Briten wollen eine Partei wählen, „die am härtesten mit Big Business umspringt”.

Bill Clinton erinnerte an die Depression zu Beginn seiner Regierungszeit. Seine Lösung war die Deregulierung des Finanzsektors durch den Gramm-Leach-Blilay Act, mit der Folge der größten Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in den USA. „Das Vertrauen wiederzugewinnen und Werte zu bilden“ sei deshalb die aktuelle Herausforderung. Mark Carney, Gouverneur der Bank of England, deutete an, wie das gehen könnte: Um Regierungseingriffe in den Finanzsektor zu vermeiden, sei ein Umbruch in Management, Aufsicht und Ethik erforderlich.

Christine Lagarde, Chefin des International Währungsfonds, wies darauf hin, dass der Anteil des privaten Einkommens am Bruttoinlandsprodukt in Europa heute ähnlich hoch ist wie vor Beginn des 1. Weltkriegs. Seit 1980 habe das reichste Prozent der US-Bürger seinen Anteil am Nationalprodukt mehr als verdoppelt. Die Verhältnisse seien jetzt wie am Vorabend der großen Depression 1929. Die 85 reichsten Menschen der Welt passen in einen Londoner Doppeldeckerbus und haben so viel Vermögen wie die halbe Menschheit.

Die Deutsche Welle kommentierte: „Die Zeit wird zeigen, ob die Inclusive Capitalism Intiative mehr ist als ein Treffen extrem wohlhabender Leute, die in ihren Privatjets anreisen, um ein paar angenehme Stunden miteinander zu verbringen und sich gegenseitig zu versichern, dass sie das Beste für die Gesellschaft tun.[5]“ Die 250 globalen Finanzmanager, die hier zusammengekommen sind, kontrollieren ein Vermögen von 30 Billionen US-Dollar. John Paulson, James Simons und Steven Cohen wurden in 2013 mit jeweils zwei bis zweieinhalb Milliarden Dollar dafür vergütet, David Teppers Einkommen im letzten Jahr betrug 3,5 Milliarden Dollar – ca. 10 Millionen kalendertäglich.

Zwei Wege zur Versklavung einer Nation

L'Isle_de_Gore_Schley_1772Die Unwägbarkeiten von Gesetzgebern oder Regierungen demokratischer Staaten sind den Vertretern des Kapitals nicht geheuer. In einer Theokratie ist das anders: Θεός (Theós) heißt Gott, κρατεiν (kratein) herrschen. In einer Gottesherrschaft vollstrecken diejenigen den göttlichen Willen, die sich als seine Diener berufen fühlen. Lloyd Blankfein, Vorstandsvorsitzender der Investmentbank Goldman Sachs hat, es auf sich bezogen: „Ich bin ein Banker, der Gottes Werk verrichtet.“[6] Ein Werk für Menschen ist es nicht. Nachdem Greg Smith bei Goldman Sachs gekündigt hat, berichtet er, dass seine früheren Kollegen sich über die Kunden der Bank lustig gemacht und sie als „Deppen“ („muppets“) bezeichnet haben.[7] (Bildnachweis: „Sklaveninsel Gore´e in Senegal, Wikimedia“)

Adam Smith (1723 – 1790), der große Klassiker der Ökonomie, hat viele bemerkenswerte Dinge geschrieben und gesagt. Sein wichtigster Satz war vielleicht dieser: „Es gibt zwei Wege, eine Nation zu erobern und zu versklaven. Der eine ist durch das Schwert und der andere durch Verschuldung!“ Die Geschichte des britischen Empire ist die Geschichte des Finanzkapitals der City of London, die das Pfund Sterling als Weltleitwährung durchgesetzt hat. Die Geschichte der Weltmacht USA ist die Geschichte der New Yorker Wall Street, die den US-Dollar als Weltleitwährung durchgesetzt hat. Die Finanzzentren in London und New York sind wie siamesische Zwillinge.

Präsident Abraham Lincoln wollte die Vereinigten Staaten nicht verschulden und keine Zinsen an das Bankenmonopol zahlen. Er finanzierte den Bürgerkrieg von 1862 bis 1865 mit vom Staat ausgegebenen Greenbacks. In einer Ansprache sagte er: „Wir gewähren dem Volk dieser Republik den größten je erlangten Segen: Sein eigenes Papier-Geld, um seine eigenen Schulden zu bezahlen.“ Bei einer anderen Gelegenheit äußerte er eine dumpfe Ahnung: „Die Banker hinter mir fürchte ich mehr als Armee der Südstaaten vor mir.“

Die „London Times“ brachte die Sorgen der City of London zum Ausdruck und rief zum Sturz von Lincolns Regierung auf. Englische Politiker waren Marionetten der City; sie mussten die Südstaaten unterstützen, obwohl Lincoln die Sklaverei abschaffte, die Südstaaten sie beibehalten wollten und der russische Zar mit seiner Marine Lincoln unterstützte. Es musste also ein anderer Weg gefunden werden.

Der Historiker F. William Engdahl[8] weist darauf hin, dass alle Beweisspuren zur Ermordung Lincolns in die City of London führen. Nach Lincolns Tod wurden die Greenbacks eingestampft.

Im Jahr 1936 hält US-Präsident Franklin Delano Roosevelt vor 20.000 Anhängern im New Yorker Madison Square Garden eine bewegende Rede. Roosevelt redet von Frieden, von jenem inneren Frieden, den er seit vier Jahren versucht seinen von der Wirtschaftskrise verängstigten Landsleuten zurückzugeben. „Wir kämpfen seit vier Jahren erbittert gegen die Feinde dieses Friedens“, sagt er. „Wir kämpfen gegen die Hochfinanz und die Wirtschaftsbosse, die gewissenlosen Spekulanten, gegen die Gegnerschaft zwischen den sozialen Schichten unseres Landes und gegen die Kriegsprofiteure. Sie alle hatten sich daran gewöhnt, die amerikanische Regierung als Anhängsel ihrer Geschäfte zu betrachten. Jetzt hassen sie mich und ich begrüße ihren Hass. In meiner ersten Amtszeit haben diese Kräfte des Egoismus und der Gier in mir einen gleichwertigen Gegner gefunden. In meiner zweiten Amtszeit werden sie in mir ihren Bezwinger finden.“

Heute sind die USA bei ihrer privaten Zentralbank Federal Reserve so hoch verschuldet, dass ihre Regierung praktisch handlungsunfähig ist – es sei denn sie erfüllt die Vorgaben der „Fed“.

Die amerikanische Notenbank, „Federal Reserve Bank“ genannt, wurde 1913 ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um ein privates Geldinstitut.[9] Zwar ist sie dem Kongress gegenüber rechenschaftspflichtig, aber sie befindet sich ausschließlich in privatem Besitz. Die „Fed“, das ist die landläufige Kurzbezeichnung, stellt dem amerikanischen Staat Kredite zur Verfügung, für deren Zinsbedienung der Staat bei den Bürgern Steuern erhebt. Zinsen, die nicht beglichen werden müssten, hätte der Staat das Recht zur Geldschöpfung nicht einer privaten Bank überlassen, sondern würde es selbst ausüben.

Am 4. Juni 1963 unterschrieb John F. Kennedy die Executive Order No. 11110, nach dem die Regierung staatliche (durch Silber gedeckte) US-Dollars herausgeben konnte, für die keine Zinsen an die Federal Reserve fällig wurden.

Diese Order war und ist Ausgangspunkt für zahlreiche als „Verschwörungstheorien“ eingeordnete Vermutungen, wonach die Ermordung des Präsidenten am 22. November 1963 damit in direktem Zusammenhang stünde. Der Erfolgsautor der New York Times, Jim Marrs, trug mit seinen im Bestseller „Crossfire“ zusammengefassten Recherchen maßgeblich zu dieser Sichtweise bei. Am 9. September 1987 erließ Präsident Ronald Reagan die Rücknahme der Verfügung No. 11110.

Der Euro-Dollar-Markt

Winston Churchill hat den Ersten Weltkrieg für notwendig gehalten, weil das Deutsche Reich sonst Großbritannien wirtschaftlich den Rang abgelaufen hätte, und das, ohne den eigenen Aufstieg mit Schulden bei der City of London zu finanzieren. Eine solche finanzielle Unabhängigkeit war verdächtig. Die Reparationszahlungen aus dem Vertrag von Versailles sind von Deutschland mit einer letzten Zahlung von 70 Millionen Euro im Oktober 2010 geleistet worden.

Als der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser 1956 den Suezkanal verstaatlichte, haben Israel, Großbritannien und Frankreich mit militärischer Gewalt reagiert. Der Kanal in ägyptischer Hand bedrohte die Position des Pfund Sterling. 40 Prozent des Welthandels wurden in der britischen Währung abgewickelt. Aber die Rückeroberung der Kanalzone misslang und der Kapitalabfluss ins Ausland bedrohte die britische Wirtschaft. Die britische Regierung verbot deshalb Auslandskredite in britischer Währung. Das Kapital sollte im Lande bleiben und mit Krediten die heimische Wirtschaft stützen.

Das Verbot der Regierung, Auslandskredite in Pfund Sterling zu vergeben, war nicht zu umgehen. Der Finanzsektor ersann einen Ausweg: Nach den Verträgen von Bretton Woods (1944) ist es jedem Staat verboten, Fremdwährungskredite zu vergeben. Danach kann nur Großbritannien Kredite in Pfund Sterling vergeben, nur die Schweiz in Schweizer Franken, nur die USA in Dollar und nur Russland in Rubel.

Aber die City of London Corporation ist eine Firma mit eigener Staatlichkeit, ähnlich wie der Vatikan, der auch nicht zu Italien gehört. Allerdings hat sie keinen eigenen diplomatischen Dienst; ihr ausführendes Organ ist die britische Regierung. In diesem Finanzdistrikt (im Londoner Jargon „square mile“ genannt) ist das Konzept vollständiger Freiheit von demokratischer Unwägbarkeit perfekt umgesetzt.

Unter Bruch internationaler Verträge haben die Finanzfirmen der City Dollarkredite vergeben und den so genannten „Euro-Dollar-Markt“ geschaffen. Der Name ist geschickt gewählt und deutet zunächst nicht auf Betrug. Aber es hat nichts mit der europäischen Währung Euro zu tun. Es ist ein Dollarmarkt in Europa. Die City gehört nicht zu Großbritannien, aber – ein Blick auf den Globus offenbart es – zu Europa.

Großbritannien kann nicht dagegen vorgehen; britisches Recht gilt nicht in der City. Die USA können nicht dagegen vorgehen; amerikanisches Recht gilt nicht in der City. Die Macht der City beruht seitdem nicht mehr auf dem Pfund Sterling als Weltleitwährung, sondern auf dem US-Dollar als Weltleitwährung.

Die City of London ist nicht an der heimischen Wirtschaft interessiert. Getreu der Erkenntnis von Adam Smith geht es um die Fortsetzung der Weltherrschaft: Nationen in Schuldknechtschaft selbst dann gefangen halten, wenn es den Untergang der Industrie im Geburtsland der industriellen Revolution bedeutet.

Inzwischen sind sowohl Großbritannien als auch die USA weitgehend deindustrialisiert. Beide Länder erwirtschaften nur 10 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts mit industrieller Fertigung. Es sind die Finanzdistrikte in London und New York, die sich die Welt untertan machen und die US-Militärmaschinerie in 155 Ländern dafür einsetzen. Finanziert wird dieser gewaltige Militärapparat u. a. von den Exportüberschüssen Deutschlands.

Piraterie vor unseren Küsten

Die City of London ist die Nabe eines globalen Finanzrades, die sie mit „Kronkolonien“ verbindet: Inseln, die Privateigentum der britischen Krone sind – in Europa, im Atlantik, in der Karibik und in der Südsee. Dieser Offshore-Finanzsektor (jenseits der eigenen Küste) hilft der Onshore-Realwirtschaft (diesseits der eigenen Küste), sich der Besteuerung zu entziehen. Es ist Piraterie, die eine wirksame Regulierung vereitelt und die Realwirtschaft zersetzt – Piraterie nicht vor den Küsten Somalias, sondern vor unseren Küsten.

So liegen z. B. Lizenzrechte bei einer Offshore-Firma; die dorthin zu überweisenden Lizenzgebühren mindern die Steuerlast eines normalen, produzierenden Unternehmens. 90 Prozent der großen internationalen Kredite werden steuermindernd von Offshore- Banken vergeben. Bei einem „leveraged buyout“ (einer mit fremdem Kapital finanzierten Firmenübernahme) werden gesunde Firmen mit Hilfe von Großkrediten feindlich übernommen – gegen den erbitterten Widerstand der Firmenleitung und der Belegschaft. Bekannte Beispiele aus Deutschland sind „Aventis“ (vormals Farbwerke Hoechst) und „Hochtief“.

Alle Welt zittert vor dem, was beschönigend mit „Die Märkte“ umschrieben wird. Kanzlerin Angela Merkel weist immer wieder ehrfurchtsvoll darauf hin, dass sie nicht verunsichert werden dürfen. Raymond Baker, Leiter von Global Financial Integrity, einer in Washington, D. C., ansässigen Nicht-Regierungs-Organisation, bezeichnet das Offshore- System als „hässlichstes Kapitel der Weltwirtschaft seit der Sklaverei“.

„Henwees“ (High Net Worth Individuals – Personen mit einem sehr hohen Nettovermögen) nutzen diese gigantische Waschmaschine für kriminelles Geld. Vier internationale Steuerkanzleien mit 700.000 Experten und 100 Millionen Euro Honorarumsatz im Jahr unterstützen sie dabei.

In Großbritannien gibt es darüber hinaus noch die „non-domicile rule“: Nach diesem Arrangement können Ausländer im Lande wohnen, ohne dort „domiziliert“ (und das heißt auch steuerpflichtig) zu sein. 60.000 „Non- Doms“ residieren in London[10]; unter ihnen viele russische Oligarchen. Deshalb wird auch von „Londongrad“ gesprochen. Aber auch der indische Stahlmagnat Lakshmi Mittal, griechische Reeder, saudische Prinzen und Baron Michael Anthony Ashcroft, in Sussex geborenes Mitglied des Oberhauses, Vorsitzender der Conservative Party, Schatzmeister der International Democratic Union und steuerlich in Belize domiziliert, der früheren Kolonie Britisch Honduras.

José López Portillo, der ehemalige Präsident von Mexiko bemerkte: „Die Privatbanken haben mehr Geld aus dem Land getragen als die Kolonialreiche, die uns seit Menschengedenken ausgebeutet haben.“ In Lateinamerika gibt es Außendienstler von Banken der City of London und der Schweiz, die Schwarzgeld direkt auf die überseeischen Konten schleusen. Die Mindestsumme für die Eröffnung eines Kontos sind 300.000 US-Dollar. So blutet ein ganzer Kontinent finanziell aus.

Staaten unter der Guillotine

Im Jahre 2008 haben sieben Prozent der Gläubiger des damals bankrotten Landes Argentinien eine Umschuldung verweigert. Der Hedgefonds NML-Capital hat von ihnen Staatsanleihen zum Ramschpreis von 48 Millionen US-Dollar aufgekauft. Der Milliardär Paul Singer leitet diesen Fonds; sein Sitz ist im Steuerparadies der karibischen Cayman-Inseln. Jetzt – in 2014 – verlangt er den Nominalpreis von 832 Millionen, das 17fache des Einstandspreises zurück. Der Supreme Court der USA hat diesen Rechtsanspruch bestätigt. In einem Hafen von Ghana ist ein argentinisches Schiff bereits gepfändet worden.

Die Tragik des Urteils ist, dass das höchste US-Gericht das Verhalten des 10 „The golden rule that saves the super-rich millions“ – The Guardian online: http://www.theguardian.com/uk/2002/ apr/11/politics.economy1 [Eingesehen am 21. 10. 2014] Finanzsektors als legitim bewertet, dass jetzt auch andere Gläubiger solche Forderungen in den USA gerichtlich durchsetzen können – ein Billionengeschäft – und dass die Vereinigten Staaten die militärischen Möglichkeiten haben, die Rechtsauffassung ihrer Gerichte weltweit mit Gewalt durchzusetzen.

In Marc Bauders Dokumentarfilm „Master of the Universe“ berichtet der ehemalige Banker Rainer Voss von immer höheren Gewinnvorgaben seiner Chefs: „I don’t care, how you do it“ (ganz gleich wie Sie es schaffen). Mit einer ähnlichen Vorgabe hat der frühere Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann vom Profit Center seiner Bank eine Rendite von 25 Prozent auf das Eigenkapital gefordert. Mit ehrlicher Arbeit ist eine solche Rendite nur in Ausnahmesituationen zu erzielen.

Die beiden Nachfolger Ackermanns, Anshu Jain und Jürgen Fitschen, müssen das jetzt ausbaden: 180 Verfahren mit Aufsichtbehörden, viele Milliarden sind für Strafen und Vergleiche bereits gezahlt. Zur Zeit sind 1.000 Rechtsstreitigkeiten mit einem Streitwert von mehr als 100.000 Euro anhängig, die Prozesskosten in 2013 betrugen 350 Millionen Euro.

Im Grunde ist diese Bank eine gigantische Rechtsabteilung mit einem angeschlossenen Bankgeschäft, das Waffenkäufe und Urwaldrodungen finanziert und mit Nahrungsmitteln spekuliert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In 2008 war die weltweite Weizenernte die höchste seit es darüber Statistiken gibt, was eigentlich einen Preisverfall zur Folge haben müsste, aber der Weizenpreis vervielfachte sich. Hunderttausende Hungertote waren die Opfer. Jean Ziegler sagt, es sei Mord gewesen.

Die Britische HSBC Bank hat in Mexiko Milliardengeschäfte mit Drogen abgewickelt. Eigentlich müsste der gesamte Vorstand der Bank im Gefängnis sitzen. Die US-Justiz aber hat keine Ermittlungen eingeleitet, weil die Bank systemrelevant ist. Eine Strafverfolgung dieser Verbrechen könnte den Zusammenbruch der Bank auslösen und der könnte den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zur Folge haben. „Too big to fail“ (zu groß für ein Scheitern) ist die Zauberformel mit der Großbanken versuchen, noch größer zu werden und sich so unangreifbar zu machen.

In der Finanzkrise des Jahres 2008 haben neun Staaten – unter ihnen die USA und Deutschland – 1,3 Billionen Euro für die Rettung großer Banken ausgegeben. Danach wurde auf der ganzen Welt eine stärkere Regulierung verlangt, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Aber die Lobbyarbeit des Finanzsektors wirkt: Von jedem Haus- oder Wohnungskäufer wird ein Eigenkapital von 20 Prozent verlangt. Banken müssen ihre Kredite aber nur mit einem Eigenkapital von fünf Prozent hinterlegen.

Darüber hinaus gibt es bei den Bilanzierungsvorschriften für Banken Sonderregelungen zur Bewertung, die von unabhängigen Wirtschaftsprüfern als betrügerisch eingestuft werden. Innerhalb der Europäischen Union hat die britische Regierung schärfere Regelungen bisher erfolgreich verhindert. Großbritannien hat eine halbe Million Arbeitsplätze im Finanzsektor.

Die Feudalherrschaft der Hochfinanz

Der französische Ökonom Thomas Piketty hat mit einer empirischen Analyse aufgezeigt, dass die großen Vermögen langfristig im Durchschnitt um jährlich sechs Prozent wachsen, während das durchschnittliche langfristige Wirtschaftswachstum drei Prozent im Jahr ist. Daraus ergibt sich eine permanente Umverteilung von unten nach oben. Vor 30 Jahren haben die Vorstände der DAX-Aktiengesellschaften in Deutschland das 20fache des durchschnittlichen Gehalts ihrer Mitarbeiter verdient, heute verdienen sie das 200fache. Vor 30 Jahren haben die Chefs der 350 größten US-Unternehmen das 30fache des Durchschnittsgehalts ihrer Mitarbeiter verdient, heute verdienen sie das 300fache.

In Deutschland entspricht das Geldvermögen des obersten Prozents der Bevölkerung der Summe aller öffentlichen Schulden. Per Saldo sind wir also gar nicht verschuldet. Trotzdem wird die Steuer im Wesentlichen auf Arbeit erhoben und nicht auf Vermögen. Die jährliche Anlagesumme des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock Inc. beträgt das Zehnfache des deutschen Bundeshaushalts.

Der vom exponentiellen Wachstum dieser „Märkte“ diktierte Druck auf die Realwirtschaft ist dabei, die Erde als Lebensraum zu zerstören. Die Waren und Dienstleistungsmärkte sind bereits übersättigt und denen, die gern mehr Geld ausgeben würden, fehlt es an Kaufkraft. An der extremen Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ersticken alle Versuche der Zentralbanken, mit einer lockeren Geldpolitik (quantitative easing) die Konjunktur zu beleben.

Die Troika von Internationalem Währungsfonds, Europäische Zentralbank und Europäischer Union hat z. B. Griechenland Bedingungen auferlegt, die eine totale Unterwerfung erzwingen. Das Land wird gezwungen, die Infrastruktur zu privatisieren: Häfen, Verkehrsysteme, Telekommunikationsnetze, Inseln, die reichen Öl- und Gasvorkommen im Mittelmeer. Alles wird wohl bald in den Händen angelsächsischer Konzerne sein.

Der ehemalige Ministerpräsident George Papandreou rang sich unter dem Druck der Bevölkerung zu einer Volksbefragung durch, bevor er seine Unterschrift unter das Dekret der Troika setzen wollte. Die „Internationale Gemeinschaft“ war entsetzt. Innerhalb weniger Tage hat Frau Merkel gemeinsam mit den Herren Sarkozy und Barroso und mit Hilfe von Papandreous Stellvertreter Evangelos Venizelos den Sturz des Ministerpräsidenten inszeniert. Das Volk fragen – das geht nun wirklich nicht. Papandreou hätte den Finanzsektor fragen müssen.

Die Verschuldung öffentlicher Haushalte pro Kopf der Bevölkerung liegt:
in Deutschland bei 26.500 €
in Griechenland bei 27.000 €
in den USA bei 39.200 €
in Irland bei 42.000 €
in Japan bei 66.500 €

Die Zukunft hat bereits begonnen

Aber die Aussichten sind jetzt besser als lange zuvor: US-Präsident George W. Bush hatte Länder, die sich der Weltherrschaft des US-Dollars widersetzt haben, noch als „Achse des Bösen“ bezeichnet und einen Vernichtungsfeldzug gegen diesen „Terror“ befohlen. Allein der finstere nordkoreanische Diktator Kim Jong Un konnte sich dem Todesurteil entziehen, weil er sich mit Atomwaffen schützt.

Jetzt aber nehmen sich die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika vor, gemeinsam den Dollar vom Thron zu stoßen. In ihnen lebt die Hälfte der Weltbevölkerung. Es ist wohl kaum realistisch, die halbe Menschheit in die Steinzeit zurückzubomben. Zum Treffen der Staats- und Regierungschefs in diesem Jahr in Brasilien hat der russische Präsident Putin einen Gast eingeladen: Die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, deren großes Land gerade von Paul Singer angegriffen wird.

Es hat schon viele Großmächte gegeben, die zu ihrer Zeit die ganze jeweils bekannte Welt beherrscht haben. Keine Weltmacht ist besiegt worden; sie waren immer unbesiegbar. Mahatma Gandhi hat Großbritannien nicht besiegt. Die Demonstranten in Leipzig haben die Sowjetunion nicht besiegt. Trotzdem hat die Herrschaft jeder Weltmacht nur eine begrenzte Zeit gedauert. Bis an die Zähne bewaffnet sind sie an ihren eigenen inneren Widersprüchen zerbrochen. Die Geschichte ist nicht zu Ende. Der nächste Untergang steht bevor. Wir sollten uns darauf vorbereiten.

Die Zukunft wird anders, als die Globalisierer es sich vorstellen. Wir werden uns wieder in kleineren Einheiten organisieren, wieder regional einkaufen und uns mit unseren Nachbarn vernetzen. Alexis de Tocqueville hat den neuralgischen Punkt angesprochen: „Nehmt den Gemeinden die Kraft und die Unabhängigkeit und ihr werdet niemals mündige Bürger, sondern nur reglementierte Untertanen erhalten.“

Wenn es der Realwirtschaft gelingt, sich von den Zwängen des Finanzsektors zu befreien, können wir diesen wunderschönen kleinen Planeten wieder in das Paradies verwandeln, als das er erschaffen worden ist. Vielleicht setzt die große Krise, die auf uns zukommt, Kräfte frei, die wir noch nicht kennen.

Die Vernetzungsdichte im Internet führt trotz der totalen Kontrolle durch amerikanische und britische Geheimdienste zu einer Spontaneität und Dynamik der Selbstaufschaukelung sozialer Prozesse, die durch Macht nicht mehr zu bändigen sind. Das Ergebnis solcher Prozesse ist nicht vorhersagbar. Es kann leicht und schnell zu einem ähnlichen Ende des Kapitalismus führen, wie die Montagsdemonstrationen in der DDR 1989 ganz unerwartet das Ende des Kommunismus eingeläutet haben. Die wachsende Schar der jetzigen Montagsdemonstranten in vielen mitteleuropäischen Städten kündigt das an.


Wolfgang_bergerÜber den Autor: Prof. Wolfgang Berger, Ökonom und Philosoph, hat in Deutschland, Ghana, Frankreich, Indien, Italien, Argentinien, den USA und dem Iran studiert, geforscht, gelehrt und als Industriemanager gearbeitet, am längsten bei der Schering AG, dort zuletzt als Personalchef. Er hat mehrere Bücher und zahlreiche Fachartikel veröffentlicht. Er leitet das Business Reframing Institut in Karlsruhe, mit dem er „Flow“ in Unternehmen verankert. Das BUSINESS REFRAMING Institut nutzt neurowissenschaftliche Methoden und bringt Sie in Kontakt mit Quantenfeldern, die Ihnen und – wenn Sie Unternehmer sind – auch Ihrem Unternehmen Schutz und eine gute Zukunft bieten. Informieren Sie sich unter: http://www.business-reframing.de

Bücher: „Business Reframing – Entfesseln Sie die Genialität in Ihrem Unternehmen: offen, human, mutig“, Springer Gabler, 5. Auflage 2013 „Anleitung zur Artgerechten Menschenhaltung – Wo Potenziale sich entfalten dürfen, macht Arbeit richtig Spaß“, J. Kamphausen, 2. Auflage 2014 (Bildnachweis: Wikimedia Commons)


1 ermittelte Thomas Piketty in seinem Buch „Kapital des 21. Jahrhunderts“
2 Marc Chesney: „Vom Großen Krieg zur permanenten Krise – Der Aufstieg der Finanzaristokratie und das Versagen der Demokratie“; Versus-Verlag Zürich
3 ebd.
4 „Die fünfte Gewalt“ aus DIE ZEIT Nº 18/2000 vom 27. April 2000: http://www.zeit.de/2000/18/200018.5._gewalt_.xml [Eingesehen am 21.10.2014]
5 „’Inclusive capitalism‘ the big new thing?“ – DW Akademie online; big-new-thing/a-17665826 [Eingesehen am 21.10.2014]
6 „Ich bin ein Banker, der Gottes Werk verrichtet“ – Frankfurter Allgemeine online; http://www.faz.net/ aktuell/wirtschaft/unternehmen/goldman-sachs-chefblankfein-ich-bin-ein-banker-der-gottes-werk-verrichtet-1886316.html [Eingesehen am 21.10.2014]
7 „Why I Am Leaving Goldman Sachs“ – The New York Times online; http://www.nytimes.com/2012/03/14/opinion/why-iam-leaving-goldman-sachs.html [Eingesehen am 21.10.2014]
8 „F. William Engdahl“ Wikipedia online; . org/wiki/F._William_Engdahl [Eingesehen am 21.10.2014]
9 „Das Federal Reserve System ist eine staatliche Einrichtung,
die sich allerdings in privatem Besitz befindet. Die gelegentlich zu hörende Behauptung, es handle sich um ein privates Unternehmen, ist nicht richtig. Das Federal Reserve System wurde durch ein Gesetz gegründet, Änderungen an seiner Struktur und seinen Aufgaben sind daher nur durch den Gesetzgeber möglich. Zwar sind die zwölf regionalen Federal Reserve Banks als Aktiengesellschaften organisiert, deren Aktionäre die in ihren Bezirken tätigen privaten Banken sind, die Aktionärsrechte im Fall der Federal Reserve Banks haben aber mit denen privater Banken wenig gemeinsam. Die privaten Banken sind kraft Gesetzes Aktionäre der Federal Reserve Banks und haben keine freie Entscheidung, ob bzw. wie viel sie investieren. Auch sind die Anteile an den Federal Reserve Banks, anders als bei Aktien üblich, nicht übertragbar.“ zitiert aus Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Federal_Reserve_ System [Eingesehen am 21.10.2014]
10 „The golden rule that saves the super-rich millions“ – The Guardian online: http://www.theguardian.com/uk/2002/apr/11/politics.economy1 [Eingesehen am 21.10.2014]

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