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Die neue Superklasse – Eine streng wissenschaftliche Polemik (Teil 1)

Armut ist keine  eine grosse Schande-01Heike Langenberg, verantwortliche Redakteurin von "VER.DI NEWS", schrieb in ihrem Kommentar vom 7. März 2015 (ver.di news 3):  Reichtum ist kaum messbar. Sie meint, dass es Studien zuhauf gäbe, die die wachsende Armut in Deutschland belegten. Diese basierten auf umfangreichem Zahlenmaterial, das die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in diesem Land klar widerspiegelt. So weit so schlecht.

Doch jetzt schreibt sie weiter: Laut einer  Meldung der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) gibt es eklatante Datenlücken. Und zwar deshalb, weil die Vermögenssteuer abgeschafft wurde und jetzt amtliche Daten zum Vermögen der Superreichen fehlten. Wie bitte? Kann es möglich sein, dass Zahlen und Fakten zum Superreichtum noch nicht bis zu ver.di Berlin durchgedrungen sind? Kann es möglich sein, dass die ganze Literatur angefangen von Silvio Gesell (Die natürliche Wirtschaftsordnung), Helmut Creutz (Das Geldsyndrom 2012),  Prof. Günther Moewes (Geld oder Leben), Hermann Benjes (Wer hat Angst vor Silvio Gesell), Werner Onken (Silvio Gesell Reichtum und Armut gehören nicht in einen geordneten Staat) und Margrit Kennedy (Occupy Money) und viele andere mehr bisher  bei ver.di Berlin noch nicht wahrgenommen wurden? Auch nicht Thomas Piketty (Das Kapital im 21. Jahrhundert) oder der größte Raubzug der Geschichte von Marc Friedrich und Matthias Weik?

Natürlich ist es skandalös, dass die Vermögenssteuer abgeschafft wurde, aber deswegen ist es trotzdem möglich, das exponentielle Ansteigen der Geldvermögen zu belegen. Die Hans-Böckler-Stiftung täte gut daran, sich mit den Beiträgen der Humanen Wirtschaft  http://www.humane-wirtschaft.de/ zu beschäftigen. Dort gibt es genügend Datenmaterial, welches das Ansteigen des Superreichtums belegt!

Prof. Günther Moewes, www.guenthermoewes.de hat in seinem neuen Artikel „Die neue Superklasse – Teil 1: Eine streng wissenschaftliche Polemik sich genau mit den Fakten beschäftigt. Hier sein Bericht:

Die Superklassengesellschaft • Geschichtliche Großepochen werden gemeinhin nach ihren sozialen Verhältnissen benannt: Es gab die Sklavengesellschaften und die Feudalgesellschaften. Unsere heutige Epoche versuchteGuenther-Moewes1-web sich um eine soziale Klassifizierung herumzudrücken und nannte sich gern „Industriegesellschaft“. Der Ausdruck „Klassengesellschaft“ war verpönt. Tatsächlich gab es Zeiten, in denen ein argloses Publikum glauben konnte, die Klassengesellschaft stehe kurz vor ihrer Überwindung. Etwa in Westdeutschland, als 1949 nach der Währungsreform die Ungleichverteilung zumindest der reinen Geldvermögen so gering war wie noch nie. Und als etwas später Ludwig Erhard euphorisch verkündete: „Wohlstand für alle“. Dafür wurde er schnell abgesetzt. Er hatte sich bei den sogenannten „Christlichen“ nur eingeschlichen. Undercover sozusagen.

Heute wissen wir, dass und warum dieser Glaube ein Irrtum war. Die „Klasse“ ist plötzlich wieder in aller Munde. Allerdings in einer ganz besonderen Variante: nicht als einfache „Klasse“, sondern gleich als „Superklasse“. Literatur und TV-Sendungen über diese Superklasse haben in letzter Zeit stark zugenommen. Der Begriff kommt keineswegs von links. David Rothkopf zum Beispiel, Autor des sehr informativen Buches „Die Superklasse“ gehört selber zur Superklasse. Er war Unterstaatssekretär in der Clinton-Administration, wurde regelmäßig nach Davos eingeladen und widmet dieser klassischen Superklasse-Tagung stolz ein ganzes kritisches Kapitel. Untertitel des Buches: „Die Welt der internationalen Machtelite“. Wer gehört zu dieser Machtelite? Wie groß ist sie? Und wieso hat sie Macht? Sie besteht zuerst einmal aus den Superreichen, Supermilliardären und Supererben dieser Welt, aus den neuen „Oligarchen“. Laut einer Untersuchung der Schweizer UBS-Bank vom November 2014 sind das weltweit 211.275 Personen mit einem Mindestvermögen von je 30 Mio. Dollar. Zusammen verfügen sie über insgesamt 30 Billionen. Und aus diesen 30 Billionen werden aufgrund der Schätzung der UBS-Bank in den nächsten fünf Jahren mindestens 40 Billionen Dollar werden. Es handelt sich wirklich um „Billionen“ mit 12 Nullen, und nicht etwa um „billions“, dem US-Ausdruck für „Milliarden“.

Besteht also die neue Superklasse aus den weltweit 211.000 Superreichen? Mitnichten. Zum einen legen nicht alle Superreichen Wert auf politischen Einfluss. Die reichsten Deutschen zum Beispiel, die Gebrüder Albrecht, haben sich hier stets zurückgehalten. Zum anderen werden zur Superklasse auch einflussreiche Politiker, Konzernchefs und Militärs gezählt, auch wenn ihr Vermögen nicht unbedingt 30 Millionen Dollar beträgt. Wir werden sehen, dass es sich um ein weltweites Netzwerk handelt und wie dieses Netzwerk funktioniert. David Rothkopf schätzt die Anzahl dieser International Einflussreichen auf „wohl nicht mehr als 10.000“ (S. 61).

Wann, wie und warum entstand diese Superklasse? Welche Ziele und welchen Einfluss hat sie und wie kommt dieser Einfluss zustande? Ist ihr Einfluss positiv und, wenn nicht – kann er überhaupt noch gestoppt werden?

Ursachen der neuen Superklasse

Superklassen hat es immer gegeben. Früher waren sie nationaler Natur und beruhten auf Sonderrechten, die vermeintlich durch Gott, Geburt oder siegreiche Feldzüge gegeben waren. Wurden diese vermeintlichen Sonderrechte durchschaut und entlarvt, war es mit der Superklasse meist schnell zu Ende. Im Gegensatz dazu ist die neue Superklasse international und beruht nicht auf Sonderrechten, vielmehr auf Mechanismen von Geld und Kapital, die für alle gelten. Zumindest zu Anfang. Nirgendwo in den kapitalistischen Demokratien gibt es ein Gesetz, das einer Superklasse Sonderrechte einräumt. Die Sonderrolle der Superklasse beruht in erster Linie auf der leistungslosen, exponentiellen Selbstvermehrung von Geld und der daraus resultierenden, ständig steigenden Ungleichverteilung der erwirtschafteten Vermögen.

Verteilung der Nettovermoegen aller Bundesbuerger 17 jahreDie politische Arglosigkeit gegenüber dieser Ungleichverteilung der Vermögen resultiert in erster Linie daraus, dass ihr wahres Ausmaß nicht erkannt wird. Wie groß ist dieses Ausmaß der Ungleichverteilung? In dieser Zeitschrift wurde bereits mehrfach das Zehnsäulendiagramm des DIW von 2007 über die Vermögensverteilung in Deutschland wiedergegeben (HW 03/09, S8, HW 02/14, S14. Siehe Darstellung 1) Damals besaß das reichste Zehntel der deutschen Bevölkerung pro Kopf im Mittel 603.000 Euro. Dementsprechend ist die Säule der Reichsten in diesem Diagramm 6,03 cm hoch (100.000 Euro entspricht  1 cm). Das Durchschnittsvermögen der Deutschen betrug 88.000 Euro (entspricht 8,8 mm). Die 20,7 Milliarden Vermögen des inzwischen verstorbenen Theo Albrecht, Aldi-Besitzer und reichster Mann Deutschlands, hätten in diesem Diagramm 2,07 Kilometer betragen müssen, das 23.500-fache des Durchschnittsvermögens. 8,8 mm gegenüber 2,07 Kilometer – das war 2007 die Dimension der Ungleichverteilung in Deutschland. Inzwischen ist sie weit größer. Gibt es irgendwo jemanden, der dieses Verhältnis für ein angemessenes Ergebnis von Leistung oder Gesellschaftsdienlichkeit hält? Weltweit besitzen 86 Milliardäre so viel wie die halbe Menschheit. Und laut Schweizer UBS haben die Vermögen der deutschen sogenannten „Ultra High Net Worth Individuals“ (= UHNWI = Superreiche mit mindestens 30 Mio Dollar nach Abzug der Schulden) allein im Jahr 2014 um 10 Prozent auf insgesamt 2,583 Billionen Dollar zugelegt. Diese Zuwächse zu den Vermögen sind praktisch leistungslose Einkommen.

Wie kommen solche Milliardenvermögen zustande? Durch Arbeit? Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit betrug in Deutschland seit 1960 etwa 1600 Stunden. In einem Arbeitsleben von 50 Jahren kommen also etwa 80.000 Stunden zusammen. Wären die 20,7 Milliarden von Theo Albrecht erarbeitet worden, wäre er auf einen Stundenlohn von 259.000 Euro gekommen. Bill Gates mit seinem Vermögen von 66 Milliarden Dollar käme heute in seinem Alter von 59 Jahren auf etwa 43 Arbeitsjahre (. etwa 69.000 Stunden) und somit auf einen Stundenlohn von 957.000 Dollar. So viel zu dem Stammtischmärchen, wonach auch Milliardäre ihr Vermögen „erarbeitet“ hätten. Wenn Geld arbeiten könnte, wäre schon eher der Satz richtig: „Sie haben zum größten Teil ihr Geld arbeiten lassen“. Von irgendeiner Vermögensgröße an vermehrt sich Geld also leistungslos von selber. Wodurch?

Früher vermehrte sich ein Teil der Vermögen leistungslos durch Zinseszins. Selbst, wenn dessen Prozentrate gering war, kamen bei den Milliardärsanlegern riesige Summen durch den „Zins im Preis“ zusammen: Da fast alle Stufen der Wertschöpfungskette durch Kredite finanziert wurden, addierten sich z. B. in Energiepreisen die Zinsen für den Bau von Stadtwerken, Förderanlagen, Röhrenwerken, Stahlwerken, Erzbergwerken usw. auf bis zu 70 Prozent der Endverkaufspreise. Milliarden Menschen zahlten jährlich ein paar hundert Dollar oder Euro Sollzinsen in ihren Elektrizitäts-, Gas- und Heizölrechnungen. Daraus entstanden Hunderte von Milliarden Habenzinsen, die auf die privaten Konten der sogenannten „Anleger“ flossen. Etwa die Hälfte floss auf die Konten von Sammelanlegern, also Fonds, Pensionsfonds, Stiftungen, Zeichnern von Staatsanleihen usw. Die andere Hälfte floss auf die privaten Konten von sehr wenigen Großanlegern, den Milliardären der Superklasse.

Beim heutigen extremen Niedrigzins stecken zwar immer noch erhebliche Altzinsen in den Preisen. Dennoch haben die Milliardäre Albrecht, Bill Gates, Warren Buffet und Carlo Slim ihre Vermögen nicht in erster Linie mit Zinsen gemacht, sondern vor allem durch nie dagewesene, riesige Produktzahlen (Apple), durch Monopoltricks (Microsoft) oder durch Unterbezahlung ihrer Angestellten und Zulieferer (Aldi, Kik, amazon). Und die großen Finanzmarktspekulanten durch immer neue Finanzkonstruktionen (Derivate, CDOs usw). Nachdem die früheren Wirkungen des Zinses an derart viele Ersatzmechanismen übergegangen waren, ließ die Superklasse durch ihre sogenannten „Goldmänner“ (Trichet, Draghi, sowie US-Finanzminister, die von der US-Großbank Goldmann Sachs kamen) den Niedrigzins einführen. Die Superreichen konnten mühelos auf Sachwerte und andere Mehrwertformen ausweichen. Die Finanzminister konnten leichter ihre Staatsschulden finanzieren. Es traf wie immer nur die breite Bevölkerung. Für sie war es praktisch wie eine neue Steuer auf ihre Spargroschen. Natürlich hatte man für den Niedrigzins und Negativzins eine Begründung bereit: Nachdem die Zentralbanken Wachstum und Konjunktur durch eine riesige Geldschwemme ankurbeln wollten, mussten sie erschrocken feststellen, dass das nicht funktionierte. Das Geld wurde bei Zentral- und Geschäftsbanken geparkt, anstatt in die Realwirtschaft zu fließen. Das wollte man nun durch Niedrig- und Negativzins bestrafen und verhindern. Eine Art Schwundgeld für Nicht-Reiche. Eine Umlaufsicherung hätte es vermutlich auch gebracht, meint jetzt sogar Jacob Augstein, einer der wenigen Intelligenteren der Superklasse, die sich über deren Sprachregelungen noch hinwegsetzen können. Allerdings: Trotz dieses Niedrigzinses sind währenddessen laut Schweizer UBS-Bank 2014 allein die Vermögen der 19.095 deutschen Superreichen um 10 % auf 2.583 Milliarden Dollar gestiegen, pro Superreichen also durchschnittlich auf 135,3 Millionen.

Die Ungleichverteilung und die riesigen privaten Milliardenvermögen sind also Ergebnis von Geld- und Mehrwertmechanismen, die zu einer dauernden selbsttätigen Anhäufung immer größerer privater Großvermögen führen. Obwohl die Ursachen dieser Anhäufung bereits seit Jahrzehnten ziemlich genau untersucht und belegt worden waren, hat merkwürdigerweise erst Pikettys sehr triviale Formel r > g diesen Erkenntnissen weltweit zum Durchbruch verholfen. Mainstream-Ökonomen, Konservative und Sozialdemokraten verstehen offenbar nur derart anspruchslose Zusammenhänge. Sie lassen sich auch nicht durch wissenschaftliche Logik überzeugen, sondern nur durch gewaltige historische Datenberge, die sie allerdings auch nicht verstehen.

Obwohl also die privaten Milliardenberge nur zu einem sehr geringen Teil durch Arbeit oder Gesellschaftsdienlichkeit erzeugt wurden, halten sich Milliardäre gern für Gutmenschen, für „Philanthropen“, die uneigennützig mit ihrem Geld Stiftungen gründen und Denkwerkstätten finanzieren, sogenannte „Thinktanks“. Wobei das englische „tank“ sowohl als „Speicher“, als auch als „Panzer“ verstanden werden kann. Wir werden noch sehen, was eher zutrifft. Damit wären wir beim ersten Kriterium, das aus den „Superreichen“ die „neue Superklasse“ macht: ihr Selbstverständnis.

Das Selbstverständnis der neuen Superklasse

Vor kurzem lief in einem der deutschen privaten TV-Sender ein Film über eine Vanderbilt-Erbin in den USA. Es wurde gezeigt, wie sie in ihrem von ganzen Personal- und Kosmetikregimentern gestylten Covergirl-Outfit bei einer Milliardärs-Chartergesellschaft einen Luxus-Privatjet für 7.000,- Dollar pro Stunde bestellte. Diese weltweit knapp 1.500 Gulfstream-Jets sind Fortbewegungsmittel und Statussymbol der Superklasse. David Rothkopf widmet ihnen in seinem Buch „Die Superklasse“ ein ganzes Kapitel. Die Vanderbilt-Blondine erklärte, dass sie den Jet keineswegs aus Verschwendungssucht chartere, sondern vielmehr aus Ersparnisgründen. Bei ihrem Arbeitspensum und ihren Fähigkeiten könne sie es sich einfach nicht leisten, ihre so wertvolle Zeit mit dem Buchen und Einchecken von Linienflügen zu verbringen. Vielmehr hoffe sie durch solche Zeitersparnisse eines Tages zur Milliardärin zu werden. Offenbar waren für sie durch die Erbteilung weniger als eine Milliarde aus der Erbschaft ihres Ur-Ur-Großvaters übrig geblieben. Kein Wunder, dass der deutsche Mainstream-Ökonom Werner Sinn behauptet, die Ungleichverteilung erledige sich von selbst, nämlich durch die Erbteilung.

So ist die Superklasse. Sie macht nichts mehr selbst. Sie lässt machen. Sie arbeitet nicht mehr, sie lässt arbeiten, vor allem ihr Geld, ihr eigenes und ihr politisches Personal. Und weil sie deshalb gar nicht mehr weiß, was Arbeit ist, glaubt sie, Arbeit sei das, was ihr Geld macht. Und so „lässt sie ihr Geld arbeiten“. Sie shoppt nicht mehr, sie lässt shoppen. Einer aus der Superklasse geht nur noch dann in einen Supermarkt, wenn er ihm selbst gehört. Wie die Wal Mart Family oder früher die Aldi-Brüder. Auch deren Söhne kaufen nicht mehr, sondern lassen kaufen. Und zwar Kunst. Und dabei hauen sie nicht mehr übers Ohr, sondern lassen übers Ohr hauen. Nämlich sich. Und dann klagen sie nicht, sondern lassen klagen. Die Superklasse kämpft auch nicht mehr selbst in den Kriegen, die sie letztendlich verursacht hat. Anders als frühere Angehörige der Superklasse, wie König Gustav Adolf oder die Kennedys, kämpft sie nicht mehr selbst, sondern lässt kämpfen. Durch Blackwater, Drohnen und arbeitslose Schwarze. Und wenn die Superklasse dann noch Zeit hat, lässt sie TV-Filme drehen. Über sich natürlich. Z. B. den oben beschriebenen über die Vanderbilt-Erbin. Solche Filme laufen in den Prolli-Sendern in Serien wie „De Luxe“ oder „Exklusiv“. Die sollen uns Prollis ans Tun der Superklasse gewöhnen und zeigen, wie berechtigt es ist. Und dann lässt sie noch die sogenannten „Soaps“ drehen. Früher hießen die „Der Alte Fritz“ oder „Die Krönung von Königin Elisabeth“. Heute heißen sie „Dallas“ oder „Denver“. Die sollen uns zeigen, wie furchtbar schwer es die Superklasse hat, und wie unglücklich doch das viele Geld und die Verantwortung machen. Und wie froh wir sein können, dass wir nicht so viel Geld haben. Nur eins kann die Superklasse noch nicht machen lassen, sondern muss es selber machen: erben. 60 % der Superreichen der USA haben laut Paul Krugman inzwischen ihr Vermögen nicht „self-made“ erarbeitet, sondern ererbt.

Das ist das Selbstverständnis der neuen „Superklasse“: Kosten, Grenzen und Entfernungen spielen für sie keine Rolle, Ökologie schon gar nicht. Privatjet statt Linienflug oder gar Bahn. Ihre Mitglieder glauben, dass sie die Starken dieser Welt sind, dass nur sie die besondere Fähigkeit haben, Reichtum zu schaffen, der ohne sie nicht geschaffen würde. Sie seien es, die die eigentliche Wertschöpfung betrieben, die ohne sie nicht betrieben würde. Nur durch sie steige die Flut, die alle Boote hebe. Nur wenn es genügend Starke gäbe, könne man „den Schwachen etwas abgeben“, tropfe für die Armen genügend herunter. Immer größere Teile der Normalbevölkerung würden ohnehin zunehmend überflüssig, weil ihre Arbeit durch Maschinen und Automaten übernommen werden könne. Dieses Selbstverständnis lassen sie durch ihnen hörige Ökonomen in Pseudowissenschaft gießen. Große Teile der neoliberalen Theorie sind reine Rechtfertigung dieses Selbstverständnisses. Die Tatsache, dass Wertschöpfung nur durch Arbeit entstehen kann und nicht durch bloße Abschöpfung, wird einfach ausgeblendet.

Die Ziele der neuen Superklasse

Hauptziel der neuen Superklasse ist die ungehinderte lautlose Umverteilung von unten nach oben, ist der Zugriff auf die von anderen erarbeitete Wertschöpfung durch die oben bereits beschriebenen leistungslosen Formen von Geld- und Kapitalvermehrung. Die einzige Institution, die dieser Umverteilung entgegenwirken könnte, wäre ein Staat, der tatsächlich die Interessen der gesamten Bevölkerung wahrnimmt, und nicht nur die der Reichen. Zu diesen Interessen gehören selbstverständlich auch die Interessen der Wirtschaft, soweit sie wirklich der gesamten Bevölkerung dienen und nicht einseitig nur der Kapitalseite. Allerdings ist das Interesse einer Superklasse, die ihre Existenz nur den beschriebenen Geld- und Kapitalmechanismen verdankt, automatisch identisch mit den generellen Interessen der Kapitalseite. Und zu dieser Kapitalseite gehören nicht nur die Superreichen, sondern alle, die ebenfalls ihre Existenz diesen Kapitalmechanismen verdanken: Konzerne, Mainstream-Ökonomie, Finanzindustrie, Rüstungsindustrie, Militär. Deren führende Vertreter bilden deshalb die „neue Superklasse“. Wir werden noch sehen, wie sie miteinander vernetzt sind und wie sie arbeiten.

Die einzige Institution, die die neue Superklasse an der ständigen Ausdehnung ihrer Macht hindern könnte, wäre der Staat. Das Zurückdrängen des Staatseinflusses ist folglich eins der Hauptziele der Superklasse. Da wird das Horrorbild einer Staatswirtschaft benutzt, um immer mehr ureigenste Staatsaufgaben der Privatwirtschaft zuzuschanzen. Der Superklasse-Versicherungs-Milliardär Maschmeyer überredet Kanzler Schröder, Teile der Altersvorsorge zwecks Abzocke an die Privatwirtschaft zu übertragen. Gleichzeitig wird der Arbeitgeberanteil abgeschafft und etwaiges persönliches Sparen für das Alter mit Niedrigzins bestraft. Da werden der – staatlichen, aber keineswegs staatsabhängigen – Justiz Aufgaben entzogen und im Rahmen sogenannter „Freihandelsabkommen“ an private Schiedsgerichte übertragen. Kein Richter, keine Jura-Fakultät protestiert. „Aushöhlung rechtsstaatlicher Schutzstrukturen“ nennt das Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (1. 12. 14). Es könnte ja durchaus sein, dass das nur der Anfang einer Teilprivatisierung ist, mit der sich Konzerne und Superklasse der staatlichen Justiz entziehen wollen. Nie wieder soll sich ein Milliardär der Superklasse mit 100 Millionen Euro vom Vorwurf der Bestechung freikaufen müssen wie Ecclestone. Und dass Post und Bahn vor ihrer Teilprivatisierung einmal besser funktioniert haben, weiß man nur noch aus Erzählungen der Alten. Wie das alles am Ende aussieht, kann man in den USA sehen, wo man ohne private Wahlkampf-Finanzierung durch die Superklasse nicht einmal mehr Provinz-Abgeordneter werden kann.

Inzwischen sind die Vermögen einzelner Milliardäre größer als das Sozialprodukt ganzer Staaten. Bereits 2001 war das Vermögen der Walton-Family so groß wie das Sozialprodukt Ägyptens mit 82 Mio. Einwohnern, das der drei Microsoft-Milliardäre Gates, Ballmer und Allen so groß wie das Pakistans mit 180 Mio. und das Warren Buffets so groß wie das Rumäniens mit 20 Mio. Einwohnern (Le Monde diplomatique, 2003). Selbst weniger reiche Milliardäre können es sich leisten, ganze Staaten finanziell anzugreifen und auszunehmen. Einer der Erfolgreichsten von ihnen ist der republikanische US-Milliardär Paul Singer. Obwohl sein Vermögen nur 1,1 Mrd. Dollar beträgt, war und ist er Hauptunterstützer der Republikaner George W. Bush, Giuliani und Mitt Romney. Er ist Havard-Absolvent und gründete mit Mitteln von Familie und Freunden den Hedgefonds Elliott Association. Seine Masche: Er kauft den Gläubigern bankrotter Staaten zu Spottpreisen ihre Staatsanleihen ab, verklagt die Länder anschließend vor ausländischen Gerichten auf die ursprüngliche, weit höhere Schuldensumme und lässt dann ihre Vermögenswerte im Ausland beschlagnahmen. So verfuhr er mit Peru, dem Kongo und Argentinien. Im Kongo ließ er vorübergehend für 90 Mio. Dollar Entwicklungshilfe zur Cholera-Bekämpfung beschlagnahmen. 2005 ließ er einen Schweizer Konzern durch ein britisches Gericht dazu verurteilen, die Bezahlung von 39 Mio. Dollar für eine kongolesische Öllieferung nicht an den Kongo, sondern direkt an einen seiner „Geierfonds“ zu überweisen. 2013 verurteilte ein New Yorker Bezirksrichter Argentinien dazu, an Singers Geierfonds die 1,3 Milliarden Ursprungsschulden zu überweisen, die dieser den Gläubigern für läppische 30 Millionen abgekauft hatte. Vorher durfte das Land keine anderen Gläubiger bedienen. Als George Soros 1992 gegen das britische Pfund wettete und eine Milliarde gewann, war das dagegen ein vergleichsweise humaner Vorgang. Weißer Mann gegen weiße Männer (wikipedia). Das sind aber nur die Angriffe auf Staaten durch einzelne weiße Männer zwecks persönlicher Selbstbereicherung. Sie lassen ahnen, was auf uns zukommt, wenn etwa die ganze Superklasse zusammen „unbotmäßige“ Staaten angreift. Etwa Russland. Umgekehrt: Wenn die weißen Männer der US-Konzerne menschliche Katastrophen anrichten wie im indischen Bhopal, zahlen sie keinen Pfennig. Für die weißen Männer der Superklasse sind wir alle „Indianer“.

Methoden und Netzwerke der neuen Superklasse

Die Städte der MilliardaereWo die Milliadaere wohnenUm die beschriebenen Ziele zu erreichen, hat die Superklasse ein internationales Netzwerk von Organisationen aufgebaut, die vor allem der Elite-Kommunikation, Ideologiebildung, Medien-, Hochschul- und Politikerbeeinflussung und Wahlfinanzierung dienen. Es sind Netzwerke vor allem von alten weißen Männern aus den USA und Europa.

Th. R. Dye nannte sie 2002 „The Vast Right-Wing Conspiracy“ (Die riesige Rechtsaußen-Verschwörung) und meinte vor allem die US-Foundations, Thinktanks, Center for Studies und sonstigen Institute, die von den Republikanern und vor allem von den beiden Milliardärsbrüdern Koch dominiert werden. Daneben gibt es die „transatlantischen Vereinigungen“ wie die „Bilderberger“, die „Atlantik-Brücke“ mit dem angeschlossenen „American Council on Germany“ und dem „Council of Foreign Relations“, die „Atlantische Initiative e V“, die „Group of Thirty“ und die „Trilaterale Kommission“. Die Ziele dieser Organisationen wurden am ehrlichsten beschrieben durch einen Satz des deutschen Superklasse-Milliardärs Arend Oetker, der im Vorstand der Atlantik-Brücke sitzt und am 17. 04. 2002 in der Berliner Zeitung schrieb: „Die USA werden von 200 Familien regiert, und zu denen wollen wir gute Kontakte haben“ Besser kann man diese Netzwerke der Superklasse nicht beschreiben. Kontakte, Verbindungen, Beziehungen. Wie kann man wo am besten leistungslos an ein paar Milliarden kommen. Und wenn sie sich nicht gegenseitig mit ihren Privatyachten und Privatjets besuchen oder gleich darin konferieren, können sie telefonieren. „Aber das Schöne an der Finanzwelt ist, dass man mit einem Telefonanruf jeden erreichen kann, den man möchte“, sagt Stephen Schwarzmann, der CEO von Blackstone (Rothkopf, 2009, S. 210). Wir 99 % aus der Unterklasse können das leider nicht.

Solche ehrlichen Selbsteinschätzungen sind aber sehr selten. Offiziell dienen die Netzwerke und Stiftungen natürlich so hehren Zielen wie der „Völkerverständigung“, dem „internationalen Brückenbau“ und der „internationalen Dialogarbeit“, einer besonders harten, körperlichen Form von „Arbeit“. Schon im Mittelalter pflegte ja die damalige Superklasse ihr Privileg der Nicht-Arbeit als „Arbeit“ zu etikettieren. Zum Beispiel wurden Turniere und Ritterspiele als „Arbeit“ ausgelegt (Moewes, 2013). Und für solche hehren Tätigkeiten verleihen die sich dann in der Superklasse gern gegenseitig Preise, die nach anderen Mitgliedern der Superklasse benannt sind: „Liz Mohn für ihre internationale Dialogarbeit mit dem Vernon A. Walters Award geehrt. Kofi Annan nennt die Stifterin eine >>Meisterin der Begegnung zwischen Völkern, Ethnien und Religionen<<. Die Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung ist […] als erste Frau mit dem renommierten Vernon A. Walters Award ausgezeichnet worden. Bei einer feierlichen Gala in New York empfing sie den Preis aus den Händen des Vorsitzenden der Atlantik-Brücke und Airbus-Chefs[…].“ (Pressenotiz der Bertelsmann Stiftung v. 13.06.2008). Ihre Tätigkeit sorgt natürlich dafür, dass auch wir 99% Unterklasse etwas für die Völkerverständigung tun können. Zum Beispiel, wenn wir abends in der U-Bahn merken, dass wir der einzige Deutsche im Zug sind. Und wenn wir dann in unserer Vorstadtsiedlung plötzlich primitive Container-Dörfer vorfinden und keinen internationalen Superklasse-Preis von Kofi Annan dafür bekommen und uns fragen, ob es nicht für die Völkerverständigung besser wäre, wenn die Superklasse die Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge bei sich unterbrächte: in den Milliardärsghettos, Milliardärslofts und Milliardärs-Appartementhäusern (Villa Hügel, Hamptons, Mayfair, Binnenalster, Potsdamer Platz, Zürich-West usw) Hausdetektive und livriertes Personal könnten dann dort für die Einhaltung der Menschenrechte zuständig sein. Vielleicht könnte man den Vernon A. Walters Award auch jener tapferen Familie geben, die in einer dieser Talkshows zu sehen war und die drei Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen hat. Ich schäme mich immer, weil ich das in meiner Vier-Zimmer-Wohnung noch nicht gemacht habe. Liz Mohn schämt sich vermutlich nicht.

Zahlen zur Ungleichverteilung Deutschland


Zum Autor: Prof. Günther Moewes
Er vertrat bis 2000 an der FH Dortmund das Forschungsgebiet „Industrialisierung des Bauens“ und sagte die Finanzkrise seit 1997 voraus. Ihre Ursache sieht er vor allem in der exponentiellen Überentwicklung der privaten Großvermögen und den daraus resultierenden öffentlichen Schulden.

Bücher und Schriften: „Weder Hütten noch Paläste“ (1995), „Geld oder Leben“ (2004), „Dilettantismus oder Komplizenschaft“ (2012), „Arbeitswende“ (2013)

pdf   HW_2015_01_S19-23

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www.humane-wirtschaft.de/

 

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